Der folgende Artikel ist meine Übersetzung des Beitrages
What is the best way to start gemba walks and keep them focused ?
von Michael Balle vom Lean Enterprise Institut und wurde auf http://www.lean.org/balle/ am 15. Februar 2016 veröffentlicht.
Das Problem mit Gemba-Walks ist, dass die Anwesenheit von Führungskräften im Shop Floor große Unruhe bedeuten kann. Ich erinnere mich an einen Senior Manager, der scheinbar auf einem Gemba-Walk war und einfach überall hingegangen ist und dabei alles und jeden ausgefragt hat. Was hat er für eine Panik verursacht! Die Mitarbeiter wunderten sich, dass er an allem etwas auszusetzen fand – was war da los? Was sollte das bedeuten?
Das Management im Shopfloor kann Fluch oder Segen sein – je nachdem. Die erste Regel eines Gemba-Walks ist deshalb: Frage nicht jeden alles! Sei still! Beobachte! Höre zu! Lerne. Und wenn schon fragen, dann wirklich nur das notwendigste.
Was sind die Hauptziele eines Gemba-Walks?
- Erstens: wir wollen aus erster Hand die Stärken und Schwächen unserer Produkte, Prozesse und Menschen beurteilen – und wie ernsthaft sie den Kunden in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen.
- Zweitens: Wir wollen eine Idee davon bekommen, wie das Management mit seinen eigenen Problemen umgeht und wie es wertschöpfende Menschen in das Verstehen und die Lösung von Problemen einbezieht.
- Drittens: Wir wollen sehen, wie gut die Manager die Bedingungen für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess/Kaizen schaffen indem sie für gute Arbeitsbedingungen sorgen und die Anstrengungen der Teams zur Verbesserung unterstützen.
Das Schwierige an der Situation ist, dass von erfahrenen Managern immer erwartet wird, dass sie klare Anweisungen geben was zu tun ist – was andererseits aber häufig als Kritik rüber kommt. Von den Führungskräften wird aber auch erwartet, dass sie ermutigen und unterstützen, was bedeutet, dass man sehen muss, wo man ermutigend und unterstützend eingreifen muss. Das ist niemals eine einfache Balance.
Wende die 3:1 Regel an
Meine persönliche Faustregel zur Einschätzung, ob die Situation ein Eingreifen wert ist, ist die 3:1-Regel.
Ich versuche immer 3 ermutigende Dinge zu einem Problem zu sagen. Meine Sicht entspricht natürlich nicht dem, wie die Menschen die Situation empfinden. Meistens wollen die Mitarbeiter von einem nur die Bestätigung hören, dass das, was sie ohnehin tun, richtig ist. Deine Aufgabe besteht jedoch darin, sie zum nächsten Schritt zu ermutigen. Es gibt dafür keine Standardanleitung, aber wenn du diese Regel im Hinterkopf behältst (die Mitarbeiter also ermutigst), kannst du dich nicht in den Fallstricken verheddern entweder eine nicht akzeptable Situation zu befürworten oder durch übermäßige Anforderungen die Menschen zu verlieren.
Mehr Informationen zur Challenge Gemba-Walk erhalten Sie hier (Klick).
Schwerpunkte der Gemba-Walks
Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Standardverfahren für die Durchführung von Gemba-Walks in der Praxis gibt. Hier sind meine eigenen Schwerpunkte:
- Planung: Überrasche die Mitarbeiter nicht mit der Anwesenheit des Managements im Shop floor. Ein Schlüssel für effiziente Gemba-Walks ist ein gut sichtbarer und kommunizierter Rundgangsplan, der die Menschen in die Lage versetzt den Besuch zu erwarten und nicht überrumpelt zu werden.
- Fokus auf klare Ergebnisse. Ich starte dort, wo die Kennzahlen veröffentlicht werden und die Manager den Fortschritt oder die Nichterfüllung nachweisen, um den geschäftlichen Kontext für den Gemba-Walk herzustellen. Frage nach dem Hauptproblem, das das Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt lösen muss.
- Fokus auf den Fluss. Wenn man den Produktionsprozess entgegen der Fließrichtung geht kann man gut erkennen, wie glatt die Arbeit läuft, wo sie sich in Form von Lagerbeständen ansammelt oder defekte Teile oder Nacharbeit ausspuckt. Wenn du dich auf den Fluss konzentrierst, dann hast die die Möglichkeit, die Teams auf die Kundenanforderungen und -erwartungen zu refokussieren.
- Fokus auf den Prozess und das visuelle Management: Kaizen findet nur in einem offenen, gut sichtbaren und gelenktem Arbeitsraum statt. Fordere vom Management eine Aussage, wie sie den Prozess in den jeweiligen Produktionsabschnitten unterstützen, wie häufig sie das visuelle Management tatsächlich nutzen und mit ihren Teams darüber sprechen, wie die Steuerung der jeweiligen Abläufe verbessert werden kann. Das sind gute Punkte, die häufig zu tiefergehenden Diskussionen führen.
- Fokus auf Kaizen: Bitte die Teams, ihre aktuellen Kaizen-Anstrengungen zu veröffentlichen, die spezifische Produktivitätssteigerung, die sie erreichen wollen, darzustellen und wie konsequent sie die Lösung ihrer Probleme verfolgen. Sei vorsichtig: daraus erfährst du weniger über das Team selbst als viel mehr über die Führungskräfte der Teams.
Gefahr der Gemba-Walks
Eine echte Gefahr von Gemba-Walks ist – wie bei den meisten Unternehmensinitiativen – dass sie sich irgendwann verselbständigen und zu einer ritualisierten „Kästchen-Ankreuz-Übung“ werden, die ohne gedankliche Vertiefung in die geschäftlichen Zusammenhänge abläuft.
Gedankenlose Gemba-Walks werden so zur langen Liste der „Management-Regen-Tänze“ hinzugefügt, an die sich die Mitarbeiter schon gewöhnt haben und die in Wahrheit noch schlimmer sind als bloß ineffizient – denn solche Gemba-Walks verstärken den Eindruck der Mannschaft, dass die Führungskräfte gar nicht wissen, worüber sie reden.
Zieh dir den Schuh an!
Um eine positive Wirkung der Führung durch das Management zu entfalten, müssen Gemba-Walks deshalb sehr ernsthaft durchgeführt werden. Da reicht der Blick aus 1000 Metern Höhe nicht. Man muss sich schon mit den alltäglichen technischen und anderen Problemen auseinandersetzen, mit denen die Menschen täglich zu kämpfen haben. Nochmal: Es gibt keinen einfachen Weg, um das zu erreichen, und niemand von uns ist Experte für wirklich jeden Prozess. Hier ist noch einmal, was ich persönlich auf den Gemba-Walks wichtig finde:
- Wir haben immer mindestens eine in die Tiefe gehende technische Diskussion, die mit dem Soll-Prozess beginnt, dann aber in die Richtung, wie die Arbeit tatsächlich abläuft, abdriftet. Dann fragen wir WARUM? Wir brauchen das Verständnis der physikalischen Vorgänge: Was sind die Standards, die Musterbeispiele? Wo sind sie korrekt, an welcher Stelle läuft etwas falsch? Wie erklären und begründen wir das?
- Das Management verlässt den Ot des Geschehens immer mit einer Liste spezifischer Aufgaben, die es für sein Frontline-Team erledigen kann. Sicher, unser Ziel besteht darin, die Autonomie der Mitarbeiter bei der Lösung ihrer Probleme zu stärken, aber wir wollen auch gegenseitiges Vertrauen schaffen. Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die durch einen Senior Manager viel leichter in Ordnung gebracht werden können, als wenn sich eine Führungskraft vor Ort damit herumplagt. Indem wir Taten sprechen lassen, uns für einige Probleme den Hut aufsetzen und unsere Versprechen halten, bauen wir Selbstvertrauen und langsam auch Vertrauen auf. Und dieses Vertrauen kann man mit Gold nicht aufwiegen!
Sei selbst der Wandel, die Veränderung, die du sehen willst!
Gemba-Walks sind zu allererst ein Führungsakt – und die Menschen werden von der Art und Weise, wie du dich verhältst, viel mehr annehmen als von dem, was du ihnen sagst. Gehe einfach und rede nicht viel. Deshalb ist es das beste auf einem Gemba-Walk kaum mehr zu sagen als „Warum?“ und „Gut gemacht!“, sich in die technischen und nicht in die organisatorischen Prozesse zu vertiefen. Unser Ziel ist es, die Menschen zu lehren, wie sie ihre Probleme besser lösen können und nicht, wie sie die Arbeitsumstände besser managen.
Mehr als nur die Fehlerkorrektur
Es ist schwierig zu sagen, wie man den Menschen beibringt, wonach sie suchen sollen, denn natürlich ist der Gemba ein Ort, der nur so vor Informationen, Unordnung und Durcheinander strotzt. Je mehr du deinen Gemba-Walk standardisierst – und in einigen Automobilfabriken geht man diesen Weg, wie du sicher schon vermutest – desto weniger Raum bleibt für Erforschung, echte Entdeckungen und das In-die-Tiefe-Gehen. Deshalb fokussiere ich mich auf ein klares Ereignis, das wir beobachten wollen:
- Visualisierung des Unterschiedes zwischen dem Normalen und Unnormalen am Arbeitsplatz
- Die unnormale Situation näher beleuchten
- Die Teams wiederholt nach dem „Warum“ fragen
- Und zwar so lange, bis wir etwas im technischen Prozess entdecken (nicht im organisatorischen Prozess), das die Schwierigkeiten erklärt und wir vorher nicht kannten
- Und dann sind wir extrem glücklich, wenn jemand etwas vorschlägt, was gegen das Problem unternommen werden kann.
Das ist der magische Moment nach dem ich suche: nicht einfach die Fehlerkorrektur, sondern ein Aha! – eine neue Verbindung, eine neue Diskussion über Zufälle und Kuriositäten, ein neues Verständnis für die Lösung eines Problems, das wir behandeln, als wäre es vollkommen normal.
Diese Magie befeuert den Verbesserungsmotor und erzeugt die Dynamik, die in eine überlegene Leistung mündet.
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