Aus der Geschichte des Schnellen Rüstens
In diesem Beitrag werde ich ein paar interessante Fakten und Entwicklungen aus der Geschichte des schnellen (Um-)Rüstens (auch bekannt als SMED) darstellen. Es ist sehr interessant zu erfahren, wie sich die Dinge bereits im neunzehnten Jahrhundert beginnend entwickelt haben. Ich illustriere das am Beispiel einer Wahnsinnswette, die mit Schnellem Rüsten par excellence gewonnen wurde. Ein Vorläufer zur Formel 1, gewissermaßen.
Dieser Beitrag ist Teil einer kleinen Reihe von Posts zum Thema SMED. Am Ende dieses Beitrages finden Sie Links zu den anderen Beiträgen dieser Reihe.
James William Selby (1888) – Eine total verrückte Wette
Ich wette mit Ihnen, dass Sie diesen Namen im Zusammenhang mit dem Schnellen Rüsten noch nie gehört haben – wahrscheinlich haben Sie überhaupt noch nicht von James William Selby gehört. Mir ist der Name auf dem Highgate Cemetery West in London vor gut einer Woche begegnet – auf einem verwitterten und bemoosten Grabstein. Unser Exkursionsführer Gordon erzählte uns die spannende Geschichte… James William Selby ist tatsächlich aktueller Rekordinhaber – immer noch. Er betrieb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Postkutschenstrecke zwischen London und Brighton (54 Meilen bzw. knapp 87 km in der einfachen Entfernung). Und er hat im Jahr 1888 eine zu dieser Zeit ziemlich wahnsinnige Wette angenommen (typisch Engländer :). Selby hat gewettet, dass er die Entfernung von den White House Cellars, Picadilly, London, bis zum Old Ship Hotel in Brighton und zurück in weniger als 8 Stunden schafft. Und zwar mit der „Old Times Coach“ – einer traditionellen Postkutsche, die von einem Vierergespann gezogen wurde.
(Quelle: http://vichist.blogspot.de/2013/10/with-opening-of-london-to-brighton-rail.html) Um den scheinbaren Wahnsinn dieser Wette richtig einschätzen zu können, muss man wissen, dass sich Postkutschen seinerzeit mit einer Geschwindigkeit zwischen 10 und 15 km/h fortbewegt haben und schon allein die einfache Strecke von London nach Brighton damals einer Tagesreise entsprach. Es ging bei der Wette übrigens um sage und schreibe 1.000 Pfund – das entspräche heute einem Wert von etwa 110.000 Pfund bzw. 124.000 Euro.
(Quelle: http://vichist.blogspot.de/2013/10/with-opening-of-london-to-brighton-rail.html)
Wie hat Selby sein Problem gelöst?
Er hat 16 Mal die Pferde gewechselt. Jedes Gespann ist damit etwa 30 Minuten unterwegs gewesen. Und ein Wechsel hat nur 47 Sekunden gedauert – kleine Losgrößen und Schnelles Rüsten par excellence! James William Selby hat am 13. Juli 1888 für die gesamte Strecke hin und zurück nur 7 Stunden und 50 Minuten benötigt. Er hat damit die Wette gewonnen und einen Rekord aufgestellt, der bis heute nicht gebrochen wurde! Leider ist er bereits 5 Monate nach diesem spektakulären Rennen verstorben und man vermutet, das ein großer Teil des gewonnenen Geldes in seinen schönen Grabstein, der mit einer Peitsche und umgedrehten Hufeisen geschmückt ist, geflossen ist…
Henry Ford (1908) – Die Welt braucht niemals ein anderes Auto…
Standardisierte schnelle Umstellungen wurden bei Toyota um 1950 verfeinert. Für einige weniger herausragende Beispiele beginnen wir mit Henry Ford und seinem geliebten Modell T. Ford hat seine Fabriken rigoros verbessert, um die Effizienz zu verbessern und das Modell T billiger zu machen. Das bekannteste Beispiel war der massive Einsatz von Montagelinien und Spezialmaschinen. Zum Beispiel enthielt der Bohrer für die Löcher im Motorblock Dutzende von Bohrern in verschiedenen Größen. Daher würde nur ein Durchgang mit diesem Bohrwerkzeug alle Löcher schaffen, die von dieser bestimmten Ausrichtung benötigt wurden. Für Ford war das Modell T das perfekte Auto, und er versuchte, den perfekten Herstellungsprozess dafür zu schaffen. Seiner Ansicht nach würde die Welt niemals ein anderes Fahrzeug brauchen. Wenn die Welt der Vision von Ford gefolgt wäre, könnten Sie morgen noch zu Ihrem lokalen Ford-Händler gehen und ein brandneues Modell T mit der besten Technologie von 1908 kaufen :).
(Quelle: Model T Ford Club of America) Die Nachfrage der Kunden änderte sich jedoch, und im Jahr 1927 war das Modell T einfach über zwanzig Jahre alt und veraltet, trotz geringfügiger Änderungen wie das Hinzufügen von elektrischem Licht. Andere modernere Fahrzeuge gewannen an Popularität. Mit viel Zögern entschied sich Ford schließlich 1927 zu einem neuen Modell, dem Ford Modell A, zu wechseln (er veränderte auch den Schriftzug, daher verwendete er nach T wieder den Buchstaben A). Während Fords Fabriken hervorragende Beispiele für Effizienz waren, waren sie jedoch auch enorm unflexibel. Insgesamt führte die Umstellung bei Ford zu einem sechsmonatigen Stillstand. Von allen Maschinen musste ein Viertel weggeworfen werden, ein Viertel konnte so verwendet werden, wie es war, und die restliche Hälfte musste umfassend umgerüstet werden. Jede Firma mit geringerer finanzieller Stärke als Ford wäre dabei pleite gegangen. Unglaublich, aber nur ein paar Jahre später wiederholte sich dieses Chaos erneut. Die Umstellung von Modell A auf Modell B im Jahr 1931 dauerte fünf Monate und war ebenso chaotisch.
General Motors mit Alfred P. Sloan (1930) – Jedes Jahr neue Modelle…
(Quelle: http://www.azquotes.com/author/13714-Alfred_P_Sloan?p=2) GM, unter der Leitung von Alfred P. Sloan, setzte auf einen völlig anderen Ansatz. Während sich Ford auf Uniformität konzentrierte, konzentrierte sich Sloan auf die Vielfalt. Während Ford die Ewigkeit betonte, feierte Sloan den Wandel. GM präsentierte jedes Jahr neue und aktualisierte Modelle, die den Takt für die aktuelle Automobilindustrie angaben. Dafür brauchten sie natürlich viel mehr Flexibilität. Man kann nicht jedes Jahr ein neues Modell auf den Markt bringen, wenn dies bedeutet, dass man seine Fabrik für ein Jahr schließen muss. Bereits um 1930 gelang es GM, innerhalb von zwanzig Tagen (!) einen großen Modellwechsel zu vollziehen – geradzu lächerlich, verglichen mit Fords sechs Monaten.
Frank Gilbreth und Frederick Taylor – Die ersten Experten für die flexible Produktion (1911)
(Quelle: http://www.qualityinformationpublishers.com/?product=historic-motion-study-films-of-frank-gilbreth) Es gab jedoch auch Forscher in den USA, die nach einer Verkürzung der Umstellungszeiten suchten. Vermutlich sind die prominentesten Experten für mehr Flexibilität in der Produktion Frank Gilbreth sowie der Vater des wissenschaftlichen Managements, Winslow Taylor. Taylor analysierte nicht wertschöpfende Teile von Rüstprozessen in seinem Buch „Shop Management“ von 1911 (Seite 171). Er hat jedoch noch keine Methode oder einen strukturierten Ansatz dafür erstellt. Gilbreth studierte und verbesserte Arbeitsprozesse in vielen verschiedenen Industrien, vom Maurer bis zur Chirurgie. Im Rahmen seiner Arbeit hat er auch Umstellungen (Umrüstungen) vorgenommen. Seine Buchstudie (ebenfalls von 1911) beschrieb bereits Ansätze zur Reduzierung der Rüstzeit. Sogar die Fabriken von Henry Ford verwendeten einige Rüstzeit-Reduktions-Techniken. In der Publikation „Ford Methods“ und „Ford Shops“ von 1915 wurden Ansätze zur Rüstzeitreduzierung klar beschrieben. Diese Ansätze wurden jedoch nie zum Mainstream. Für lange Zeit war im 20. Jahrhundert die wirtschaftliche Bestellmenge der Goldstandard für die Losgröße.
Die wirtschaftliche Bestellmenge – Der „goldene Standard“ für die Ermittlung von Losgrößen (1913)
Im Jahr 1913 entwickelte Ford W. Harris eine Gleichung für eine Bestellmenge, die die Gesamtbestandshaltungskosten und Bestellkosten minimiert. Diese Größe ist bekannt als die wirtschaftliche Bestellmenge. Die Variablen in der unten gezeigten Gleichung lauten wie folgt: Q: optimale Bestellmenge D: jährliche Bedarfsmenge K: Fixkosten pro Bestellung oder Einrichtungskosten (Rüstkosten) h: jährliche Lagerkosten pro Einheit (Quelle: http://www.allaboutlean.com/smed-history/) Diese scheinbar einfache Formel wurde häufig verwendet, um die „ideale“ Losgröße oder Bestellmenge zu bestimmen. Bedauerlicherweise wurden die Kosten für die Lagerung normalerweise unterschätzt, und viele zugrunde liegenden Annahmen der Gleichung machten das Ergebnis viel weniger genau als das, was die Zahlen vorschlugen. In jedem Fall führten große oder teure Aufträge oder Einstellungen (Umrüstungen) (K) zu großen Aufträgen oder Losgrößen (Q). Infolgedessen wuchsen Losgrößen. Es wurde meist übersehen, dass die Auftrags- oder Rüstkosten nicht festgelegt waren, sondern auch beeinflusst werden konnten. Trotzdem war es in vielen Fällen einfacher, einfach größere Mengen zu produzieren, als die Einstell-/Umrüstzeiten zu ändern.
Toyota und der schnelle Werkzeugwechsel (QDC – Quick Die Change) (1950)
Toyota hatte 1950 sehr unterschiedliche Probleme. Sowohl Ford als auch GM produzierten Autos in enormen Mengen. Toyota baute nur ein paar tausend Autos pro Jahr. Als eine arme Firma zu dieser Zeit konnte sie sich keine separate Presse für jedes Teil leisten. Stattdessen wechselten sie häufig die Werkzeuge in den Pressen von einem Teil zum nächsten. Ihr Problem war, dass diese Umstellung zwischen zwei und acht Stunden dauerte, und Toyota konnte sich weder die verlorene Produktionszeit noch die enormen Losgrößen leisten, die die berechnete wirtschaftliche Losgröße nahelegte. Auf einer Reise in die USA beobachtete Taiichi Ohno jedoch Danly-Stanzpressen mit schneller Werkzeugwechselfähigkeit. Anschließend kaufte Toyota mehrere Danly-Pressen für das Motomachi-Werk.
(Quelle: http://www.toolingsystemsgroup.com/core_businesses/stamping_dies) Außerdem hatte Toyota damit begonnen, die Umrüstzeiten seiner Pressen zu verbessern. Dies wurde bekannt als Quick Die Change, oder kurz QDC (Schneller Werkzeugwechsel). Sie entwickelten einen strukturierten Ansatz auf der Grundlage eines „Training Within Industry Programm“ (TWI) namens ECRS. Auf Deutsch ist das die EKUV-Analyse: Eliminieren, Kombinieren, Umstellen, Vereinfachen.
Mit der Zeit verkürzten sie die Umrüstzeiten in den 1960er Jahren von Stunden auf 15 Minuten und in den 1970er Jahren auf drei Minuten. Andere japanische Unternehmen hatten ähnliche Erfolge. Die westliche Welt war jedoch immer noch mit Umrüstzeiten in Stunden beschäftigt. Während also japanische Unternehmen ihre Werkzeuge dreimal täglich oder öfter wechselten, wechselten die meisten westlichen Unternehmen die Werkzeuge einmal pro Tag oder weniger. Die Losgrößen waren natürlich entsprechend unterschiedlich.
Shigeo Shingo und SMED – Wussten Sie, dass SMED auf einer Lüge basiert? (1970)
In den 1970er und 1980er Jahren waren westliche Autohersteller von der Qualität und den Kosten japanischer Autos überrascht. Sie wollten das Geheimnis dieser japanischen Automobilhersteller verstehen. Leider gab es wenig oder keine Literatur zu diesem Thema auf Englisch. Der japanische Berater Shigeo Shingo konnte diese Lücke schließen. Während der späten 1970er Jahre, als Toyotas Methode bereits gut verfeinert war, nahm er an einem QDC-Workshop teil. Nachdem er begonnen hatte, Details des Toyota-Produktionssystems ohne Erlaubnis zu veröffentlichen, wurde die Geschäftsverbindung von Toyota abrupt beendet. Shingo zog in die USA und begann, sich mit Lean Manufacturing zu beschäftigen. Er behauptete, diese schnelle Wechselmethode erfunden zu haben (neben vielen anderen Dingen), und benannte sie in Single Minute Exchange of Die um, kurz SMED. Die einzelnen Minuten stehen für eine einstellige Minutenzahl, d. h. weniger als zehn Minuten. Da Shingo eine große Wissenslücke füllen konnte, wurde er in den USA bekannt. In Europa kennt man seinen Namen kaum. Er förderte die Ideen des Lean Manufacturing, insbesondere von SMED.
Moderne Zeiten
Heute werden die Prinzipien von SMED in vielen Bereichen eingesetzt. Das perfekte Beispiel ist natürlich die Formel 1. Boxenstoppzeiten unter 5 Sekunden sind heute der Standard, wenn man in der ersten Liga mitspielen will. Um den Kreis zu schließen, möchte ich noch einmal auf meine London-Reise zurück kommen, von der ich am Anfang berichtet habe. Ich bin am 2. Januar mit Ryanair von Dortmund nach London geflogen. Jeder weiß, dass diese Fluglinie für ihre Billigpreise bekannt ist. Diese Preise lassen sich nur mit perfekten Abläufen halten (unter anderem). Als die Maschine in Dortmund landete – sogar ein paar Minuten vor der offziellen Ankunftszeit – standen auf dem Rollfeld schon etwa 10 Leute bereit: Der Einwinker, der Fahrer des Fahrzeugs, das das Flugzeug rückwärts in seine Parkposition manövrierte, etliche Leute für das Gepäck, Techniker für den obligatorischen Sicherheitscheck und der Tankwart. Die Flugbegleiter sind schon während des Fluges und zuletzt kurz vor der Landung mit Müllsäcken herumgegangen, um so wenig Zeit wie möglich zum Aufräumen der Passagiermaschine am Boden zu benötigen. Das Aus- und Einsteigen war extrem gut organisiert. Und trotzdem starteten wir mit 15 Minuten Verspätung. Aber das mag an dem schlechten Wetter gelegen haben, das sich an diesem Abend über London zusammenbraute… Kehren wir noch einmal kurz zurück zu Shigeo Shingo. Aufgrund der Fokussierung von Shingo auf SMED glauben einige Praktiker, dass SMED eine der wichtigsten Methoden des Lean Manufacturing ist. Manchmal gilt Lean Manufacturing auch als SMED. Dem ist nicht so! SMED ist eines der vielen Werkzeuge im Lean Manufacturing. Es ist aber eher eine Schlüsselgröße, die für eine bestimmte Aufgabe wichtig ist, jedoch bei weitem nicht das wichtigste Werkzeug in der Lean-Werkzeugkiste. Tatsächlich ist der wichtigste Teil der Toolbox die Person, die die Werkzeuge einsetzt! Dennoch dürfte es viele Praktiker und Manager geben, die, anstatt ein Problem zu lösen oder erstmal herauszufinden, was ihr Problem eigentlich ist, einfach nur SMED machen wollen, weil das anscheinend das Allheilmittel ist. Ich hoffe, dieser Beitrag war interessant für Sie. Ich habe die historischen Entwicklungen etwas beleuchtet. Ich hoffe auch, dass Ihre die Lösung zu dem Problem passt und nicht umgekehrt, und dass die Person, die die Tools verwendet, für Sie wichtiger ist als die Toolbox.
Wie Sie einen Rüstworkshop richtig vorbereiten
Unabhängig davon ist das Schnelle Rüsten gerade dann, wenn Sie sich noch nie mit der Rüstzeitoptimierung beschäftigt haben, durchaus ein wirkungsvolles Tool, mit dem Sie schnell deutliche Effekte erschließen können. Und wenn Sie die Rüstprozesse wirklich gründlich untersuchen, werden Sie möglicherweise auch auf andere Probleme stoßen. Aber dafür gibt es ja den ganzen Werkzeugkoffer der Lean-Methoden. An dieser Stelle möchte ich auf meine kostenlose dreiteilige Webseminarreihe hinweisen, in der Sie alles zur Vorbereitung eines professionellen Rüstworkshops erfahren. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier (klick).
Quellen: http://www.allaboutlean.com/smed-history/
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- An welcher Maschine führe ich meinen (ersten) Rüstworkshop durch?
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