der wilde Hund

Erfahrungsbericht – Wie macht man ein Unternehmen lean?

Einführung von Lean Management

Autorin: Heide Fischer

Heide Fischer ist Wirtschaftsingenieurin, REFA-Industrial Engineer und Lean-Expertin. Als Computerspezialistin hat sie sich der Weitergabe ihrer Erfahrungen in der Prozessoptimierung mit digitalen Templates und Onlinekursen verschrieben. Sie ist davon überzeugt, dass durch die Verknüpfung der Online- und Offline-Beratung große Effizienz-Potenziale erschlossen werden können.

21. Januar 2017

Die Einführung von Lean Management

Der folgende Blogbeitrag berichtet über die Erfahrungen eines mittelständischen Unternehmens bei der Einführung von Lean Management und der Etablierung einer Lean-Kultur. Diese Veränderungen wurden durch die komplette Veränderung der Marktbedingungen zwingend notwendig und einfach überlebenswichtig. Das Unternehmen – ein Leuchtenhersteller und Weltmarktführer – hat sich diesen Anforderungen erfolgreich gestellt.

Die Folgen der Digitalisierung – Paradigmenwechsel

In Deutschland gibt es viele mittelständische Unternehmen – häufig auch in eher ländlichen Regionen – die sich zu wahren Perlen entwickelt haben. Diese Unternehmen spielen meist in der ersten Liga der Märkte mit und sind der breiten Masse der Bevölkerung trotzdem oft nur regional bekannt.

Ein Unternehmen dieser Art habe ich vor gut einer Woche besucht – ein Weltmarktführer im Leuchtenbereich mit ca. 500 Mitarbeitern am Hauptstandort 30 km von Dortmund. Ehrlich gesagt hatte ich von diesem Unternehmen vorher nie etwas gehört.

Als Leuchtenhersteller standen sie vor etwa 4 bis 5 Jahren vor einem Paradigmenwechsel: Dem kompletten und konsequenten Umstieg von „analogen“ Leuchten und Leuchtsystemen in die digitale LED-Welt. Digitale Leuchten und Leuchtsysteme haben die herkömmlichen Leuchtmittel in rasender Geschwindigkeit nahezu vollständig vom Markt verdrängt. Das Problem dabei ist, dass die Herstellung digitaler Leuchten mit der Herstellung analoger Leuchten nicht zu vergleichen ist. Die Produktionstechnologie musste also komplett umgestellt und verändert werden.

Das Unternehmen legte dazu das Projekt „Fabrik der Zukunft“ auf und begann mit der Einführung von Lean Management und einer neuen Lean-Kultur.

Einführung von Lean Management

Aus dieser Tabelle kann man die Anforderungen der Digitalisierung wunderbar ablesen. Ich denke, dass dieser Paradigmenwechsel nicht nur Leuchtenhersteller betrifft, sondern alle Unternehmen, die sich der Digitalisierung stellen. Unternehmen, die diese Wandlung der Bedingungen und Anforderungen nicht ernst nehmen, werden es in Zukunft sehr schwer haben, auf dem Markt zu bestehen.

Die digitale Revolution hat den Innovationszyklus enorm beschleunigt. Fertigung auf Lager ist damit praktisch unmöglich geworden, denn solche Produkte sind schon nach einem Jahr hoffnungslos veraltet. Das betrifft insbesondere Unternehmen, die elektronische Komponenten herstellen oder verarbeiten. Auch die Preise sind nicht mehr so stabil wie im analogen Zeitalter. Da sich viele junge Unternehmen am Wettbewerb beteiligen und die Start-Ups ständig neue Ideen kreieren, ist auch der Wettbewerb deutlich diffuser geworden.

Das alles erfordert eine Veränderung in der Unternehmenskultur und dieser Veränderung hat sich der Leuchtenhersteller gestellt.

Zum schlanken Unternehmen in drei Schritten

Das Unternehmen hat seinen Umbau des Unternehmens zu einem „leanen“ Unternehmen in drei Schritte unterteilt und befindet sich momentan beim Übergang vom Schritt 2 zum Schritt 3:

Schritt 1

  • Schaffung von Transparenz in den Abläufen
  • Etablieren eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses
  • Schaffung eines Grundverständnisses zum Thema „Lean Production“ bei den Mitarbeitern

Um diese Aufgaben zu bewältigen, wurden folgende Methoden genutzt: 5S, Kaizen, Shopfloormanagement (Visualisierung, Communication Boards, kaskadierende Meetings).

An dieser Stelle möchte ich auf meine Webseminare hinweisen, in denen ich die einzelnen Methoden etwas ausführlicher vorstelle.

Ich muss sagen: Ich habe bisher wenige Unternehmen gesehen, die Lean Management und Lean Production so konsequent und so erfolgreich umgesetzt haben. Besonders interessant war für mich die Aussage zur Dauer des Prozesses. Das Management hat für die erste Linie anderthalb Jahre gebraucht. Die Mitarbeiter durften ausprobieren, haben Fehler gemacht und korrigiert. Die anderen 9 Linien wurden danach innerhalb nur eines Jahres umgestellt…

Schritt 2

  • Änderung der Produktionsphilosophie (weg von Lageraufträgen und Massenfertigung hin zu Kleinserien und Kundenaufträgen)
  • Prozessstabiliserung
  • Verwendung von Gleichteilen (Standardisierung)

Im Schritt 2 wurden und werden folgende Methoden angewendet:

  • Heijunka (Bei Heijunka geht es um die weitgehende Harmonisierung des Produktionsflusses durch einen mengenmäßigen Ausgleich)
  • One-Piece-Flow
  • TPM (Total Productive Maintenance) und SMED (Schnelles Rüsten)
  • LCA (Low Cost Automation)
  • Teamarbeit, Cardboard Engineering

Interessant fand ich an der Stelle, dass das Unternehmen nicht mit irgendwelchen Hauruck-Aktionen einfach Linien umgestellt hat, sondern die Veränderungen immer zusammen mit den Mitarbeitern umgesetzt hat. Die Produktionsleiterin sagte, dass der Hebel für den Erfolg des Veränderungsprozesses ganz klar das Einbeziehen der Mitarbeiter war. Erst als man das konsequent gemacht hat, ging es wirklich voran. Vor dem Umbau von Produktionslinien wurde zunächst ein Lego-Planspiel durchgeführt.

Cardboard Engineering

Neue Ideen mit Betriebsmitteln aus Karton testen

Die Neugestaltung der Linien wurde mit den Mitarbeitern per Cardboard-Engineering zunächst ausgiebig getestet, bevor sie dann tatsächlich neu gestaltet wurden. Das allergrößte Verschwendungspotential, das dabei erschlossen wurde, war die Minimierung der Wegezeiten. Dadurch konnte der Output teilweise verdoppelt werden!

Auch die Betrachtung der Qualitätskosten wurde deutlich komplexer:

Qualitätskosten - Vergleich der Optimierungsanforderungen

Für die Optimierung der Kosten gibt es nicht mehr nur ein Kriterium – nämlich die Qualität – sondern inzwischen ein Optimierungsquadrat mit den Parametern Kosten, Qualität, Flexibilität und Liefertreue.

Schritt 3

Schritt 3 ist nur konsequent und folgerichtig der Schritt in die Digitalisierung – nämlich hin zur vernetzten Produktion.

Dazu muss ein „digitaler Schatten“ der Produktion geschaffen werden. Dazu gehören vier Punkte:

  1. Die Prozesse müssen messbar gemacht und vernetzt werden (Generieren von Informationen)
  2. Dann müssen die Prozesse analysiert werden (Ziel: Mustererkennung)
  3. „Appisierung der Produktion“ – Prozesse müssen prognosefähig gemacht werden
  4. die Produktion muss angepasst werden (Entscheidungsfähigkeit)

Das alles führt hin zum „Scientific Management 4.0“ in der Produktion.

Im 3. Schritt werden diese Methoden angewandt:

  • JiT (Just in Time)
  • JiS (Just in Sequence – Bei der Bereitstellung nach dem JIS-Verfahren sorgt der Zulieferer nicht nur dafür, dass die benötigten Module rechtzeitig in der notwendigen Menge angeliefert werden, sondern auch, dass die Reihenfolge (engl. sequence) der benötigten Module stimmt. Dieses Konzept wurde für die bestandslose Beschaffungslogistik entwickelt und stellt eine Weiterentwicklung von JiT dar)
  • Kanban
  • Konsignationslager

Veränderung der Rolle der Mitarbeiter

Die Rolle der Mitarbeiter hat sich im Laufe dieses Paradigmenwechsels dramatisch verändert. Früher (im analogen Zeitalter) waren sie die Experten ihrer Aufgabe, die sie über einen längeren Zeitraum selber erfüllten. Das heißt, sie waren selbst wertschöpfend tätig.

Heute dagegen sind sie die Experten, die die kompletten automatisierten Abläufe am Laufen halten – das heißt, sie unterstützen die Wertschöpfung „nur“. Die Mitarbeiter müssen heute ihr Wissen permanent ergänzen und auffrischen – früher reichte in der Regel die einmalige Ausbildung zum Facharbeiter.

Auch in der Motivation findet eine tiefgreifende Veränderung statt: Die Mitarbeiter wollen heute nicht mehr nur Geld verdienen, sondern auch mitgestalten und sind offen für Neues.

Und die Organisation ändert sich von der früheren hierarchischen Ordnung hin zu einer modernen agilen Form, wo je nach Projektbedarf flexible Teams gebildet werden, die nach Projektabschluss wieder auseinander gehen.

Um diese Veränderungen zu begleiten, hat das Unternehmen ein Standard-Weiterbildungsprogramm etabliert, um zum einen eigene Lean-Experten auszubilden und zum anderen auch die benötigte Elektronik-Kompetenz im Unternehmen zu schaffen.

Das größte Problem war der Kulturwandel weg von „Du bist nicht hier um zu denken, sondern um zu arbeiten!“ hin zu „Die Mitarbeiter dürfen selber gestalten.“ Das bedeutet auch, dass sich nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Führungsmannschaft ändern musste. Auch für diesen Prozess wurde ein extra Projekt aufgesetzt: „Für den Wandel“. Die verlässliche Konstante dabei waren die Unternehmenswerte. Das Ziel des Projektes bestand darin, sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter mit dem Veränderungsprozess erreichen.

Beim Personalmangement entstanden durch diese Veränderungsprozesse ebenfalls neue Anforderungen. Zum einen musste genau eingeschätzt werden, welchem Mitarbeiter was zugetraut werden konnte und zum anderen musste man dafür sorgen, dass die Mitarbeiter die neuen Fertigkeiten auch erlernen konnten. Das bedeutet, dass eine komplett neue Mitarbeiterbeurteilung erforderlich geworden ist.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Mitarbeiter innerhalb kürzester Zeit drei große Veränderungen bewältigen mussten:

  • neue Produkte produzieren (elektronische LED statt normaler Glühlampen)
  • neue Produktionsmethoden beherrschen (sowohl technisch als auch organisatorisch)
  • der Mitarbeiter wird durch die Digitalisierung transparent – an ihn werden bisher unbekannte Bewertungsmaßstäbe angelegt.

Übrigens finden Sie hier einen Artikel bei Zeit Online, der ebenfalls von guten Erfahrungen und Methoden der Mitarbeiterwertschätzung berichtet.

Schlussfolgerungen und Zusammenfassung

Die Digitalisierung der Wirtschaft hat beim Leuchtenhersteller zwei Auswirkungen: Zum Einen direkt auf die Produktpalette und damit auf die verwendeten Technologien und zum Anderen unterstützend bei der Planung und Optimierung der Abläufe. Trotzdem sind die wesentlichen und entscheidenden Veränderungen nicht am Computer, sondern bei den Mitarbeitern geschehen. Die Führungsmannschaft hat nicht nur Lean Management, sondern auch die Lean-Kultur konsequent eingeführt. Sie hat dabei Luft zum Ausprobieren gelassen und die Mitarbeiter einbezogen. Wo notwendig, wurde auch externe Beratungsleistung hinzugezogen, insbesondere für die technologischen Veränderungen. Das war notwendig, um im Veränderungsprozess die richtigen Fragen zu stellen und Fehlentscheidungen zu vermeiden.

Ich habe bisher wenige Unternehmen gesehen, die Lean Management so konsequent und erfolgreich anwenden.

Hier geht es zu meinen Webseminaren, in denen ich verschiedene Leantools vorstelle, die auch beim Leuchtenhersteller erfolgreich eingesetzt wurden und werden.

 

Diesen Beitrag gibt es auch als Podcast

 

 

 

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